Am 16.11. war in ganz Deutschland wieder Volkstrauer angesagt. Hier in Werne nahmen trotz schlechten Wetters wesentlich mehr Menschen am sogenannten „Volkstrauertag“ teil, als im letzten Jahr. Begleitet wurde die komplette Veranstaltung wie üblich von deutscher Nationalhymne, Schützenvereinen, Reservistenkameradschaft und anderer nationalistischer Kackscheiße. Im Nachbardörfchen Capelle wurde der Geschichtsrevisionismus dieses Jahr allerdings auf die Spitze getrieben: die stellvertretende Bürgermeisterin Petra Schröer (SPD) hielt fest, dass der Großteil deutscher Soldaten der Weltkriege genauso „ehrenhaft und tapfer“ gewesen sei wie z.B. die Alliierten. Wen interessiert da schon noch, dass die deutsche Fraktion einen bis heute beispiellosen Vernichtungsfeldzug gegen alles „nicht-arische“ führte?
Im Folgenden eine ausführlichere Kritik am „Volkstrauertag“:
Wie jedes Jahr wurde in Werne im November der Volkstrauertag begangen. Doch während nach außen hin der „Opfer beider Weltkriege und heutiger Kriegshandlungen“ gedacht werden soll, stehen die Trauernden teilweise vor Denkmälern, die Nationalismus und eine konstruierte Volksgemeinschaft reproduzieren. Deutschlandfahnen gehören zum Trauertag ebenso dazu wie die Nationalhymne – womit klar wird, wessen hier vor allem gedacht werden soll. Deutsche sollen genauso Opfer gewesen sein wie die Menschen, die unter den deutschen Weltmachts- und Vernichtungsphantasien zu leiden hatten. Damit wird geschichtsrevisionistischen Perspektiven der rote Teppich ausgerollt, die sich dann auch vielerorts nicht lang bitten lassen – jedes Jahr nehmen Neonazis in verschiedenen Städten an den offiziellen Gedenkveranstaltungen teil oder veranstalten kurzerhand ihre eigenen.
Volkstrauertag – Gedenken an deutsche Täter*innen
Aber zurück zum Anfang. Was ist der Volkstrauertag eigentlich? Dieser wurde erstmals am 28.02.1926 begangen, allerdings gab es bereits 1922 eine Gedenkstunde im Reichstag. Er wurde auf Initiative des Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) ins Leben gerufen, der ihn auch heutzutage wieder organisiert. Gedacht war er als Gedenktag für die deutschen (das wird gerne mal vergessen) Gefallenen des 1. Weltkriegs. Die damaligen Veranstaltungen waren nicht zufällig geprägt von Revanchismus, Republikfeindlichkeit, Militarismus und Nationalismus, so propagierte zum Beispiel der Hamburger Pastor Jähnisch 1926 auf der zentralen Gedenkfeier: „Deutschland muß leben und wenn wir sterben müssen!“. Entsprechend war es ebenfalls kein Zufall, dass die Nazis im Dritten Reich den Volkstrauertag mit Handküsschen übernahmen und zum „Heldengedenktag“ erklärten – immerhin war das NS-Regime nichts anderes als die Zuspitzung dessen, was dort ohnehin von breiten Teilen der Volkstrauernden gefordert wurde.
Nach 1945 war dann erstmal Schluss mit dem Heldengedenk- und dem Volkstrauertag. Bereits 1948 fand der Volkstrauertag aber wieder statt – wieder unter der Schirmherrschaft des VDK. Bis heute wird seitdem unter anderem Label getrauert wie zum Beispiel: „Zum Gedenken an die Opfer beider Weltkriege und der Kriegshandlungen in jüngerer Vergangenheit und Gegenwart“. Dazu gibt es noch eine hübsche Gedenkstunde im Bundestag – auch hier sind die Fokussierung auf Militarismus und Nationalismus gern gesehen, so besteht die musikalische Untermalung der „Volkstrauer“ aus der deutschen Nationalhymne und dem Lied Der gute Kamerad, das genutzt wurde, um den Soldatentod zu idealisieren und auch heute noch in der politischen Rechten immer wieder ein Tränchen der Rührung in Nazi-Augenwinkel zaubert. Dass bei dieser schwarz-rot-goldenen Veranstaltung mit Nationalhymne allen Opfern gedacht werden und trotz Militärverherrlichung Krieg verurteilt werden soll, ist damit gar nicht mal mehr sooo ersichtlich.
So weit zum Hintergrund, aber das Ganze wird noch ekliger…
Und wer schmeißt die ganze Party?
Ein Blick auf die teilnehmenden Gruppen lässt bereits nichts Gutes erahnen. Organisiert werden die Veranstaltungen meist von der Stadt oder der jeweiligen Ortsgruppe des Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Der VDK etablierte den Volkstrauertag und trug dessen völkisch-nationalistische Ausrichtung mit. Mit der Machtergreifung 1933 reihte sich der VDK munter in die nationalsozialistische Propaganda ein; das Gedenken an sogenannte „Blutzeugen“ und andere, zu Märtyrern erklärte Rechtsradikale wurde integriert und der Volkstrauertag kurzerhand zum Heldengedenken umfunktioniert. Bereits kurz nach der Niederlage des NS konnte der VDK seine Arbeit wieder aufnehmen – ohne einen entscheidenen Bruch bezüglich der ideologischen Ausrichtung.
Bis 1970 wurden dort noch Kriege mit Blick auf die deutsche Vergangenheit verharmlost und insbesondere die beteiligten Soldaten verherrlicht: „Persönliche Lauterkeit, Tapferkeit und eine unangetastete Ehre können wohl missbraucht aber nicht entwertet werden“. Trotz einer offiziellen Distanzierung von rechtem Gedankengut und des Ausschlusses von NPD-Landtagsabgeordneten 2007 finden sich dort immer noch National-konservative und Rechtsradikale – abgesehen von der ohnehin militaristischen und nationalistischen Grundausrichtung. Weiterhin erhält er unter anderem Geld von der Bundeswehr, mit der der Volksbund eng zusammenarbeitet.
Speziell in Werne mobilisieren vor allem Schützenvereine zum Volkstrauertag. Ihre Geschichte ist ähnlich wie die des VDK von völkisch-nationalistischen Vorstellungen geprägt, hinzu kommt der militaristische Habitus. Auch die Schützenvereine fügten sich in die nationalsozialistischen Bestrebungen ein – Widerspruch gab es lediglich, wenn z.B. eine einheitliche Uniformierung gefordert wurde. Nach einer kurzen Verbotsphase durch die Alliierten richten sich die Schützenvereine heute mehrheitlich am Schießen aus einem sportlichen Anspruch heraus aus – das Image der männlich-dominierten, betrunkenen Stammtischgemeinschaften konnten sie nach wie vor nicht ablegen. Von einer generellen Kritik am Habitus der Schützenvereine und des Schießsports an sich mal abgesehen, stellt sich in Werne vor allem die Frage, warum kein Schützenverein dieser Kleinstadt seine Mitglieder am 9. November mobilisiert, dafür aber alle am Volkstrauertag – wenn auch endlich der deutschen „Opfer“ gedacht werden darf – pünktlich und in Uniform auf der Matte stehen. Ein*e Schelm*in, wer Böses dabei denkt…
Ebenfalls immer mit dabei ist die Reservistenkameradschaft, eine Organisation, die aus Reservist*innen der Bundeswehr, aktiven Soldat*innen sowie fördernden Mitgliedern besteht. Eine der Aufgaben der Reservistenkameradschaften ist die Repräsentation der Bundeswehr in der Öffentlichkeit. Wie sehr ihnen das gelingt, kann im Falle der Stadt Werne angezweifelt werden. Die alljährliche Beteiligung am Volkstrauertag kann als das einzige öffentlichswirksame Event betrachtet werden. Die Kameradschaft repräsentiert Militär und Militarismus auf der Veranstaltung – was dem beschworenen Sinn des Gedenkens diametral entgegensteht. Auch vertritt der Dachverband der Kameradschaften patriotische Positionen, distanziert sich jedoch von Organisationen wie der NPD, die ihnen dann doch zu wenig zur „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ stehen. Slogans wie „Tu’ was für dein Land“, zeigen jedoch, dass auch hier Elemente der nationalen Mobilmachung und ein Appell an die Opferbereitschaft des Individuums für’s konstruierte Kollektiv zu finden sind.
Diese drei Fraktionen sind in der Regel die Spitze des Eisbergs, zu denen sich dann wie in Werne noch alle möglichen Vereine und Verbände hinzugesellen. Immer wieder beteiligen sich in einigen Städten jedoch auch Neonazis am Volkstrauertag oder melden gleich ein eigenes „Heldengedenken“ an, da ihnen die zugrundeliegenden Ideologien gut in den eigenen geschichtsrevisionistischen Baukasten passen. Trotz aller schillernden Distanzierungen seitens Reservistenverband und Co. wurden die Neonazis häufig nicht von den Veranstaltungen ausgeschlossen.
Deutschland, du Opfer?
Neben einer generellen Kritik an den zugrundeliegenden Konstrukten wie „Volk“ oder „Nation“, die den Rahmen sprengen würde, steht für uns vor allem die Täter-Opfer-Problematik im Vordergrund. Nicht selten wird am Volkstrauertag an Denkmälern ’rumgetrauert, auf denen (vor allem deutsche) Soldaten zu Helden verklärt werden, die für ihr Vaterland starben (auch in Werne finden sich diese Inschriften). Das ist nicht nur problematisch, weil die Volkstrauernden ja eigentlich Krieg verurteilen wollen, sondern auch, weil genau diese toten Soldaten ausdrücklich ins Gedenken einbezogen werden. Wir erinnern uns: an diesem Tag soll der „Opfer“ von Krieg gedacht werden. Nun sind Soldat*innen im Krieg aber nunmal eher Täter*innen, um nicht zu sagen: Mörder*innen. Die Toten der Wehrmacht, SS und anderer deutscher Militärverbände mit den Opfern deutscher Vernichtungsphantasien – von Jüd*innen über Rom*nija, von Sinti*zze über die Herero – und den Opfern jüngerer Kriegseinsätze wie im Kunduz gleichzusetzen, ist ein Akt, der sich je nach Begründung und Ausprägung irgendwo zwischen Geschichtsrevisionismus und NS-Relativierung bewegt. Die Trauergemeinschaft stellt damit beispielsweise einen in Stalingrad verreckten Faschisten in eine Reihe mit den Ermordeten in Auschwitz, von denen viele allein wegen ihrer Herkunft mit dem Leben bezahlen mussten.
Zudem stellt sich die Frage, warum beim Gedenken an ein Verbrechen (hier: Krieg) die Anwesenheit der Täter (hier: Soldaten, in Werne die Reservistenkameradschaft) kritiklos geduldet wird. Es gibt nur einen einzigen Grund, um die Täter*innen eines Verbrechens auf einer Gedenkveranstaltung für ihre Opfer zu tolerieren und zwar die Möglichkeit der Täter*innen, um Verzeihung zu bitten, sich von ihren Taten zu distanzieren und damit zu brechen. Aber die am Volkstrauertag teilnehmenden Soldat*innen distanzieren sich nicht vom Krieg an sich, der Bundeswehr oder dem Militär. Weder werden sie nach der Veranstaltung zu Antimilitarist*innen oder Pazifist*innen, noch bitten sie um Verzeihung oder treten aus dem Militär aus. Täter*innen, die keine Reue zeigen, haben auf einer Gedenkveranstaltung für ihre Opfer nichts verloren – gar nichts!
Noch grotesker ist, dass auch mal Neonazis an öffentlichen Volkstrauerveranstaltungen teilnehmen können und dort leider oft toleriert werden.
Die nationale Mobilmachung, die an diesem Tag auf viele Arten betrieben wird, findet einen besonderen Höhepunkt in der Idealisierung der Opferbereitschaft für die eigene Nation: Soldat*innen, die „für ihr Vaterland fallen“ oder „unsere Freiheit am Hindukusch verteidigen“. Das Individuum soll sich gefälligst der Vergemeinschaftung durch das Kollektiv unterziehen – und dies bedeute im Extremfall dann halt auch, das eigene Leben in den Dienst für Heimat und Nation zu stellen. Über Beifall bis Beteiligung rechter, reaktionärer Kreise braucht sich die Volkstrauergemeinschaft dann freilich nicht zu wundern.
Wir hoffen, dass nun einigermaßen klar ist, warum wir der Meinung sind, dass der Volkstrauertag abgeschafft werden muss. Nicht nur, dass er nicht geeignet ist, auf die gesteckten Ziele (Gedenken an Krieg; Eintreten für Frieden; etc.) angemessen hinzuarbeiten, die propagierten Opfermythen, die unkritische Haltung zum Militär, der beschworene Nationalwahn stehen diesen Zielen sogar unmittelbar entgegen.
Nie wieder „Volkstrauer“ – gegen deutsche (Opfer-)mythen!
Schluss mit Geschichtsrevisionismus und Nationalismus!