Flyer 3 (Berliner Straße, Lünen)

Rückseite

Dieser Flyer wurde in Werne Anfang Oktober in der Berliner Straße und später in Lünen verteilt. Im Folgenden möchten wir uns mit den Behauptungen dieses Flyers beschäftigen. Der folgende Text erschien auch in einer gekürzten Version als Flugblatt.

Liebe Nazis, Weltverschwörungen und anderer Unfug

Auf der Vorderseite des oben stehenden Flyers wurde zunächst behauptet, dass Kriege generell nur aus finanziellen Gründen ausgetragen würden. Prinzipiell ist nichts falsch daran, dass es solche Kriegsgründe gibt, sie sind aber meist wesentlich vielfältiger. Der Zweite Weltkrieg beispielsweise war eben vor allem ein ideologischer Krieg – vorangetrieben durch den Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus des Dritten Reichs. Besondere Aufmerksamkeit verdient allerdings die Behauptung, 1939 sei Polen als „Köder zur Kriegsauslösung“ genutzt worden, denn hier wird der Anschein erweckt, Polen habe den Zweiten Weltkrieg begonnen und nicht etwa das NS-Regime mit seinem Angriff auf den Nachbarstaat im September ’39. Auf diese Weise wird die deutsche Kriegsschuld geleugnet und so getan, als wären die Nazis eigentlich Opfer des Weltkriegs gewesen. Eine solche Täter-Opfer-Umkehr ist ein beliebtes Mittel im Repertoire von Neonazis. Die anschließende Behauptung, dass nun Deutschland als Kriegsauslöser gegen Russland genutzt würde, ist eine platte Verschwörungstheorie russland-freundlicher Rechter. Dass Deutschland in absehbarer Zeit Krieg gegen Putin führt, ist in etwa so wahrscheinlich wie ein Friedensnobelpreis für den Pegida-Chef Lutz Bachmann.

Die „Suche nach den Strippenzieher*innen“

Das Flugblatt geht aber noch weiter: wenn Polen und nun Deutschland nur „benutzt“ werden, dann muss es natürlich auch jemanden geben, der dahinter steckt. Das Flugblatt hat dafür eine simple Erklärung. Es handele sich um die „zur Weltherrschaft drängende Geldkaste“. Die „Geldkaste“ dient hier als Chiffre bzw. als Code für das, was die Autor*innen des Flugblatts eigentlich meinen: die Jüd*innen. Denn wenn es eins gibt, was Antisemit*innen gar nicht gerne hören, dann ist es die Bezeichnung „Antisemit*in“, da sie zurecht schnell im Abseits stehen, wenn ihre Hetze gegen Jüd*innen als das bezeichnet wird, was sie ist. Sie bedienen sich daher der Begriffe wie „Geldkaste“, damit Menschen, die mit Vorurteilen wie dem von einer angeblichen besonderen Vorliebe von Jüd*innen für Geld groß geworden sind, trotzdem intuitiv verstehen, was gemeint ist. Damit sind wir dann auch beim schnöden Antisemitismus angelangt. Der*Die gemeine Antisemit*in ist nämlich der Meinung, dass alles, was in der Welt passiert, Teil einer riesigen Verschwörung ist – und als Verantwortlicher muss seit eh und je das gesamte Judentum herhalten. Damit wird zum Einen fälschlicherweise so getan, als wären alle Jüd*innen gleich (nämlich böse und Verschwörer*innen) und hätten die gleichen Interessen (Weltherrschaft und Reichtum). Dumm nur, dass Jüd*innen genauso unterschiedlich sind wie die Menschen, die in deiner Straße wohnen. Zum Anderen hat man so immer schnell einen Schuldigen zur Hand. Gedanken darüber, wie die Welt eigentlich funktioniert und was man tun kann, um sie zu verändern, muss man sich dann nicht mehr machen. So kann man sich das Leben auch einfach machen. Auch hier werden die ehemaligen Opfer des Naziterrors, die Jüd*innen, zu Täter*innen. Die Shoah wird damit letztlich sogar verherrlicht – immerhin ging es ja gegen die angeblich so bedrohliche Weltverschwörung!

Was Nazis wollen…

Noch verrückter wird es dann allerdings auf der Rückseite: hier wird allen Ernstes die Behauptung zu verkaufen versucht, Nazis seien nicht etwa Anhänger*innen einer Ideologie, die auf Ausgrenzung, Terror und Mord abzielt, sondern die eigentlichen Held*innen der Geschichte. Der „Geldadel“ (gemeint sind wie bei dem Begriff „Geldkaste“ die Jüd*innen) sei der „Menschheitsfeind“. Dieser habe auch die Weltkriege angezettelt – nicht etwa Hitler und die Deutschen. Hier werden also erneut die Deutschen zu Opfern gemacht, die Jüd*innen sollen die eigentlichen Täter*innen gewesen sein. Beweise für die ganzen Behauptungen können die Autor*innen natürlich nicht vorbringen. Das ist ja auch das Tolle an so einer Verschwörungstheorie: wenn es keine Beweise dafür gibt, dann nur weil die Verschwörung so geheim ist und alle Beweise vernichtet. Nazis hingegen fühlen sich laut dem Flugblatt angeblich nur „dem Gemeinwesen und damit den Kindern verpflichtet“. Im Ernst? Nicht nur brauchen die Autor*innen des Flugblatts offenbar mal ein Wörterbuch, sie haben auch offensichtlich sehr bedenkliche Wahnphantasien. Wenn hier von Kindern die Rede ist, dann meint das erstens nur Kinder, die in das rassistische Ideal der Volksgemeinschaft passen. Schließlich hatten Nazis in der Vergangenheit nie ein Problem damit z.B. jüdische Kinder umzubringen. Ein Gemeinwesen, wie Nazis es sich vorstellen, ist zweitens eine Gesellschaft, in der Menschen, die als „nicht-weiß“ und „nicht-deutsch“ wahrgenommen werden, Homosexuelle usw. keinen Platz hätten. Es ist eine Gesellschaft, in der Frauen nur am Herd stehen, auf die Kinder aufpassen und abends ihren Mann bekochen und beglücken „dürfen“. Es ist eine Gesellschaft, in der Männer nur Soldaten und Arbeiter sind und niemals Schwäche zeigen dürfen. Es ist eine Gesellschaft, in der alle, die nicht in dieses Bild passen, keinen Platz haben – und vernichtet werden müssen, wenn sie sich nicht anpassen können oder verschwinden. In einer solchen Welt kann es keine Freiheit geben, keinen Frieden, kein schönes Leben.

Wir dagegen wünschen uns eine Welt, in der alle Menschen ohne Angst verschieden sein können – eine Welt, in der nur diejenigen keinen Platz haben, die anderen ihren Platz nehmen wollen. Entsprechend setzen wir uns gegen jede Form von Rassismus, Sexismus und Antisemitismus ein. Dazu gehört auch, sich denen in den Weg zu stellen, die versuchen, die Geschichte zu verdrehen, um die Verbrechen der Deutschen in der Vergangenheit kleinzureden. Wenn ihr Informationen zu den Flugblättern habt, könnt ihr euch gerne hier bei uns melden.