Seit fast zwei Jahren lässt sich in Deutschland eine rassistische Welle beobachten, die in ihrer Intensität scheinbar ungebremst zunimmt. Mittlerweile hat sie ein Stadium erreicht, das einhergeht mit beinahe täglichen Brandanschlägen auf Geflüchtetenunterkünfte, rassistischen Aufmärschen oder Angriffen auf Migrant*innen und Geflüchtete (Havixbeck, Dortmund etc.) und inzwischen auch Politiker*innen wie in Köln. Während Zivilgesellschaft und insbesondere Linke sich dem wieder grassierenden Rassismus in Deutschland vielerorts entgegenstellen, reagieren viele Vertreter*innen der deutschen Politik leider mit Gesprächsangeboten und Verständnis für „berechtigte Ängste“, stellen sich wie die CSU rhetorisch auf die Seite von Pegida und AfD und machen Zugeständnisse in Form von Verschärfungen des Asylrechts.
Von solchen Manövern blieb die Stadt Werne bislang zum Glück verschont. Bürger*innenmeister Lothar Christ bezog sogar in der Vergangenheit vergleichsweise progressiv Stellung. Er betonte stets die Ablehnung gegenüber Rechten und Rassist*innen. Zuletzt tat er dies bei der Bürger*inneninfo in Stockum am 21. Oktober. Umso irritierter stellten wir unmittelbar danach fest, dass Christ den Brandbrief von 215 NRW-Bürger*innenmeister*innen an Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Hannelore Kraft unterzeichnet hat. In diesem machen sich die Spitzen von zahlreichen NRW-Kommunen staatstragende Gedanken: in tiefer Sorge um „unser“ Land befürchten die Bürger*innenmeister*innen, dass „Deutschland trotz des Asylpaketes weiterhin attraktiv für viele Flüchtlinge sein“ könne, als wäre das etwas Schlechtes.
Lena Milani von der Antifa Werne: „Der Forderungskatalog sieht eine Verschärfung der deutschen Abschottungspolitik durch Ausweitung von Grenzkontrollen oder eine „Obergrenze“ für den „Zustrom nach Europa“ vor, die Menschen und ihre Schicksale zu Nummern degradiert und ab Nummer 2.000.000 wäre dann halt beispielsweise Schluss. Pech für alle anderen! Von Flüchtenden aus „sicheren Herkunftsstaaten“ wird gefordert, in ihrer Heimat das Asylverfahren auszusitzen, also doch gefälligst in dem Elend aus dem sie fliehen müssen auf eine Entscheidung der deutschen Bürokratie zu warten. Die vermeintlich positive Forderung nach einer Verbesserung der Situation für Geflüchtete in der Türkei wird leider überdeckt von der paternalistisch anmutenden Auslagerung europäischer Asylpolitik in Staaten, denen die EU bislang den Beitritt verweigert hat.“
Der Brandbrief kommt damit den Forderungen der rassistischen „Besorgten“ entgegen oder macht sie sich sogar zu eigen und legitimiert diese so in der Debatte um die Asylproblematik. Sie finden in der Mitte der Gesellschaft, bei politischen Funktionsträger*innen, Gehör. Kein Wunder also, dass rechte Organisationen wie die Republikaner den Brief dankbar aufgreifen. Ob aus Überzeugung oder der opportunistischen Überlegung heraus, für „besorgte Bürger*innen“ z.B. in Stockum wählbar zu bleiben: eine solche Positionierung ist auf’s Schärfste abzulehnen. Zumal die Abschottungsforderungen durchaus berechtigte Diskussionen um eine stärkere Beteiligung des Bundes übertünchen. Eine progressive Kritik hätte das Versagen der europäischen Abschottung in den Fokus rücken, die intensivere Bekämpfung von Fluchtursachen statt eines Abfindens mit den bisherigen „Maßnahmen“ oder die Ermöglichung legaler Fluchtwege fordern können. Ein Statement gegen die akute Hetze aus Politik und rassistischer Meute auf der Straße wäre angebracht gewesen. Stattdessen wird auf repressive Maßnahmen gesetzt, die die Flüchtenden ohnehin nicht aufhalten werden, sondern nur ihre Strapazen erhöhen. Lena Milani: „Wir hoffen darauf, dass Christ seine Unterstützung des Brandbriefs zurückzieht und sich auf seine verhältnismäßig fortschrittliche Haltung von früher besinnt. Unter den gegebenen Umständen sind Christs Absagen an angebliche „Asylgegner*innen“ nicht mehr glaubwürdig.“
Den Brandbrief und den Forderungskatalog findet ihr unter anderem bei RP Online. Ebenso wie einen besseren Umgang mit der Thematik seitens des Mönchengladbacher BMs.