Vorläufige Antifa-Bilanz für Werne 2015

Die Stadt Werne kann sich glücklich schätzen, dass sie im Gegensatz zu vielen anderen Städten weder eine rechte Partei, noch eine organisierte Gruppe Neonazis beherbergt. Bei vielen Mitbürger*innen führt diese Tatsache jedoch scheinbar zu dem Trugschluss, es gebe schlicht keine Rechten in der Stadt. Um diesem Irrtum zu entgegnen und gleichzeitig eine kleine Übersicht (die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt) zu bieten, haben wir uns dazu entschlossen, für das noch laufende Jahr 2015 – und damit vor allem für das erste Halbjahr – eine Bilanz aus antifaschistischer und insbesondere antirassistischer Sicht zu ziehen. Denn auch wenn sie im Verhältnis zu den Aktivitäten linker und flüchtlingssolidarischer Gruppen gering sein mögen, weist das Jahr bislang eine Steigerung rechter Aktivitäten auf.

Rechte im Netz

Anfang 2015 war auf Facebook der Account „Wegida“ aufgetaucht, mit dem versucht werden sollte, auf den hauptsächlich in Sachsen erfolgreichen Pegida-Zug aufzuspringen. Allerdings blieb „Werne gegen die Islamisierung des Abendlandes“ ein reines Internetphänomen, eine Präsenz auf der Straße oder in den Printmedien gelang der Gruppe nicht – kein Wunder allerdings, da die Seite lediglich vom 12. bis zum 15. Januar mäßig aktiv war. Hinzu kommt, dass die Resonanz verschwindend gering war. 12 Freunde (die auch mal ein paar mehr waren) hat die Seite aktuell noch. Sie bewarb unter anderem einen Pegida-Aufmarsch in Duisburg. Der bislang letzte Eintrag auf der Seite ist auf den 15.01.2015 datiert. Seitdem hüllen sich die Verteidiger*innen ihres imaginierten „Abendlandes“ in Schweigen (Stand: 30.08.2015).

Wesentlich unbequemer gestaltet sich die Lage in der Gruppe „Was in Werne passiert !“. Zwar handelt es sich hierbei um eine unpolitische Gruppe, die eigentlich eher zum Austausch darüber gedacht ist, was halt so in Werne passiert – irgendwo hat irgendwas geknallt, irgendeine Katze ist entlaufen, wann hat Arzt XY geöffnet usw. – allerdings lässt sich mindestens seit Mitte Januar beobachten, dass sich in der Gruppe öfter ein rassistischer Mob austobt. Die Anlässe dabei können vielfältig sein: irgendein Gerücht, irgendeine Straftat, die möglicherweise von Nicht-Biodeutschen begangen worden sein könnte, oder ein antirassistischer Kommentar. Eine Reihe von Accounts hetzt begeistert gegen Geflüchtete, als „Zigeuner“ gelesene Menschen, „Pleitegriechen“, „Gutmenschen“ und was sonst noch so passt. Das kann auch bedeuten, dass in einer Diskussion über Jugendliche („die Jugend von heute“) Erziehungstipps fallen, die so zum Glück nicht mehr praktiziert werden, oder gegen Gewerkschafter*innen und streikende Arbeitnehmer*innen gepöbelt wird.
Kein Thema allerdings zündet beim Onlinemob so gut wie das Thema Asyl. In den letzten Monaten gab es ein gutes Dutzend (kein Anspruch auf Vollständigkeit!) von Hasstiraden gegen Geflüchtete, die allesamt von den Administrator*innen entfernt wurden. Inzwischen hat als Konsequenz auch schon das komplette Administrator*innen-Team von Anfang 2015 Stück für Stück das Handtuch geworfen und auch einige neu rekrutierte haben aufgegeben. Hin und wieder wurden auch mal einige Accounts aus der Gruppe geworfen – geholfen hat aber alles nichts. Allerdings bleibt die Hetze auch auf das Internet beschränkt. Ein Versuch, die artikulierten Vernichtungsphantasien umzusetzen oder ihre „besorgte Bürger*innen“-Attitüde auf die Straße zu tragen, erfolgte bislang nicht und auch angekündigte Besuche flüchtlingssolidarischer Treffen wurden nicht durchgezogen.

Selbstzerlegung des AfD-KV Unna

Als einzige rechte/rechtspopulistische Partei, die in Werne von zumindest geringer Bedeutung war, möchten wir der AfD oder genauer dem Kreisverband Unna der Alternative für Deutschland einen eigenen Abschnitt widmen. Im Jahr 2014 gelang der Partei in Werne ein für rechte Parteien beachtliches Ergebnis: 4,7% (587 Menschen) machten ihr Kreuz für’s Europaparlament bei den Rechtspopulist*innen – die bislang einzige Wahl, bei der die AfD in Werne wählbar war[1]. Seit ihrer Gründung war der AfD-KV Unna zudem mit Stammtischen durch den Kreis getourt, von denen auch am 13.11.2014 einer in Werne im Hotel Ickhorn stattfand. Trotz des Wahlergebnisses und der bundesweiten Aufmerksamkeit für die AfD, entfaltete der KV Unna jedoch keine große Relevanz. Auffällig waren allerdings die variierenden Vorstandsmitglieder, unter denen sich schon kurz nach der Gründung zwei spätere Unterzeichner*innen der Erfurter Resolution (der Gründungserklärung des rechten Flügels in der AfD[2]) befanden: Michael Schild und Beate Porada[3]. Änderten sich zu Beginn nur ein paar Namen (v.a. nach dem Landesparteitag in Kamen am 22. März 2015), so kam es nach dem Bundesparteitag in Essen, mit dem der Rechtsruck in der AfD besiegelt wurde, auch zur Spaltung des KV. Bis auf Michael Schild trat der komplette Vorstand zurück, ein Ehepaar verließ sogar die Partei[4]. Schild, der nun Sprecher und einziges Vorstandsmitglied ist, übernahm auch den Facebook-Account des KV, der nun im Vergleich zu vorher auch mit eigenen Inhalten „glänzt“. Wurden vorher vor allem die Beiträge anderer AfD-Verbände und -Vertreter*innen geteilt, werden inzwischen auch eigene Kommentare zu Zeitungsartikeln o.Ä. verfasst. Insgesamt hat hier die Vorsicht gegenüber rechten, rassistischen und sonst wie kruden Inhalten abgenommen. Es werden Beiträge der Jungen Freiheit geteilt, gegen Lucke oder ehemalige KV-Mitglieder gepöbelt, über die „SAntifa“ schwadroniert oder der Verschwörungsmythos von der staatlichen Finanzierung „der Antifa“ bedient („Die Geister, die ich rief (und bezahlte)…“ – anlässlich von antirassistischen Protesten gegen einen Besuch des sächsischen Innenministers in Heidenau). Insgesamt hat der Themenschwerpunkt „Asyl“ die Oberhand auf dem Account gewonnen. Schild stilisiert sich dort zudem als „der letzte Mohikaner“. Abzuwarten bleibt, ob der für den 28. September angekündigte außerordentliche Kreisparteitag dem KV neuen Schwung verleihen könnte. Der Ort wird – im Gegensatz zu den Stammtischen früher – inzwischen nicht mehr öffentlich bekannt gegeben.

Straftaten in Werne

2015 wurden in Werne zusätzlich diverse Straftaten mit rechtem oder möglichem rechten Motiv begangen. Zum einen wurde in Werne-Stockum Anfang Mai vor einem Gebäude, das zu einer Unterkunft für Geflüchtete umgebaut wurde, ein Hakenkreuz auf einen Stromkasten gesprüht. Am 1. Juli entdeckten Antifaschist*innen ein weiteres Hakenkreuz in der Bahnunterführung an der Selmer Straße. Ein drittes, vermutlich älteres, befand sich in der Nähe des Amazon-Geländes.
In der Nacht vom 2. auf den 3. April brannte der Anhänger der „Aktion Buntes Werne“ auf dem Solebad-Parkplatz nieder[5], der dort am 12. Januar mit der Aufschrift „Werne für ein ‚Miteinander‘ und ein ‚buntes Deutschland’“ abgestellt worden war und mit „Antifaschistische Aktion Werne“ unterschrieben worden war (zu den Hintergründen: [6][7]). Im Netz war bereits über den Anhänger diskutiert worden, die Mitglieder der „Aktion Buntes Werne“ gaben an, von Rechten bedroht worden zu sein – in dem Zusammenhang wurden Anfang Januar ebenfalls Hakenkreuze an ein Wohnhaus gesprüht[8]. Während der Brandinspektor erklärte, das Feuer, das den Anhänger zerstörte, könne auch von einer Zigarette stammen, ist ein rechter Hintergrund nicht unwahrscheinlich und erst recht nicht auszuschließen.
Vom 3. auf den 4. Mai wurde außerdem ins Jugendzentrum JuWeL eingebrochen. Neben gestohlenen Diensthandys und einem kleinen Geldbetrag wurden im Jugendzentrum Hakenkreuze und rechte Schriftzüge gesprüht. Die Polizei ermittelte drei Tatverdächtige. Die Jugendlichen im Alter von 15 bis 17 Jahren sollen für den Einbruch verantwortlich sein. Ob ein politischer Hintergrund vorhanden sei, habe die Polizei aber noch nicht klären können. In der Frage, ob es sich hier um Rechtsradikale oder plumpe Provokation handle, liegt die Antwort unserer Einschätzung nach irgendwo in der Mitte. Sicherlich waren hier keine überzeugten Neonazis am Werk – dass Jugendliche allerdings zufälligerweise Nazi-Symbolik für Provokation nutzen, dürfte ebenso unwahrscheinlich sein.[9] [10]
Zuletzt müssen auch noch die Razzien in mehreren Bundesländern erwähnt werden, die die Ermittler*innen am 16. April auch nach Werne führten. Gesucht wurden Exemplare einer CD, die ein den NSU verherrlichendes Lied enthalte. Die CD war auch über den „Wolfszeit“-Versand des Werner Neonazis Dennis Linsenbarth erhältlich. Laut Polizeiangaben wurden drei Objekte in Werne durchsucht. Nicht bekannt ist, ob und wie viele Exemplare gefunden wurden und welche Objekte genau durchsucht worden sind. Dass Linsenbarths Räume darunterfallen, ist allerdings wahrscheinlich. Mit rechtlichen Konsequenzen dürfte er jedoch nicht zu rechnen haben, da der Vertrieb der CD nicht als strafbare Handlung im Fokus der Ermittlungen stand.[11] [12] [13]

Blick anderer Akteur*innen

Wie sehen eigentlich andere Akteur*innen in Werne diese Entwicklungen? Auf Seiten der beiden großen Zeitungen, die mit Lokalredaktionen in Werne vertreten sind (Ruhr Nachrichten, Westfälischer Anzeiger), lässt sich ein größeres Interesse an der Berichterstattung über rechte Umtriebe beobachten (Razzia in Werne, Einbruch im JuWeL etc.). Die RN brachten sogar einen eigenen Artikel über Hetze in der Facebook-Gruppe „Was in Werne passiert !“[14].
Die Polizei hingegen bemüht sich in Zeitungsartikeln nach wie vor darum, festzuhalten, dass Werne ja auf keinen Fall eine „rechte Hochburg“ sei, als gäbe es nur die beiden Möglichkeiten „keine Nazis“ und „Hochburg“.
Auf Seiten der Stadt und der Parteien lassen sich unterschiedliche Haltungen erkennen. Zwar sind einzelne Politiker*innen der Linken, der SPD und der Grünen durchaus bemüht und engagiert in antifaschistischen oder antirassistischen Initiativen oder äußern sich kritisch, zeitgleich reden wiederum andere das Problem klein oder schlagen mäßig erfolgsversprechende Reaktionen beispielsweise auf rassistische Pegida-Aufmärsche vor. So erklärten zum Beispiel anlässlich der Frage, wie auf Pegida zu reagieren sei, Politiker der CDU und der UWW (Unabhängige Wähler[sic!] Werne), es sei wohl das beste, sie sich „totlaufen [zu] lassen“ und ihnen keine Aufmerksamkeit zu widmen – ein weiteres Argument dafür, den UWW auch weiterhin keine Aufmerksamkeit zu widmen. Christian Schmid, Fraktionschef der CDU in Werne, erklärte zudem, er sehe in Werne kein Problem, was die Anfälligkeit der Bürger*innen für die Vorstellungen von Pegida betreffe[15]. Die rassistischen Exzesse auf Facebook sprechen da leider eine andere Sprache.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es in Werne nach wie vor Neonazis nicht möglich zu sein scheint, eine organisierte Struktur auf die Beine zu stellen – allerdings können sie auch ohne eine solche Struktur eine individuelle Bedrohung darstellen. Besorgniserregender ist die Entwicklung seitens der vermeintlichen „Mitte der Gesellschaft“, die Konjunktur der „weiß Gott nicht ausländerfeindlichen“ Rassist*innen. Es handelt sich hierbei um einen Prozess, der sich ähnlich auch im restlichen Bundesgebiet abspielt, die Genese eines vor allem gegen Geflüchtete gerichteten Rechtspopulismus‘, für dessen Erstarken Pegida und die AfD stehen. In Werne trauen sich solche „besorgten Bürger*innen“ noch nicht auf die Straße. Wir sehen es als unsere Aufgabe als aktive Antifaschist*innen und Antirassist*innen, ein Klima zu schaffen, in dem das auch so bleibt – denn auf Hilfe aus Parteien oder gar der Polizei können und dürfen wir uns nicht verlassen!

Update (17.10.2015)

In Werne sind Aktivitäten von Anhänger*innen aus dem Umfeld der sogenannten Grauen Wölfe zu beobachten, die wir hier nicht vernachlässigen wollen. Am 4. April 2015 fand eine Veranstaltung aus der Bewegung der Grauen Wölfe im Stockumer Bürgerhaus statt. Weder der Presse noch dem Bürgerhaus scheint aufgefallen zu sein, um welche politische Orientierung es sich bei der organisierenden Gruppe Lünen Ülkü Ocagi handelt. Laut Werbeplakaten ging es um eine Gedenkveranstaltung für den Rechtsradikalen Alparslan Türkeş, den Gründer der türkischen MHP, an dessen Todestag sowie für weitere „Märtyrer“. Das Bürgerhaus mit seinem Werbeslogan „Wir geben Ihren Ideen Raum“ scheint sich wenig Gedanken darüber zu machen, um welche Ideen es sich da handelt.
Zusätzlich sind im Umfeld der Innenstadt und insbesondere des Jugendzentrums JuWeL wiederholt Schmierereien mit Bezug zu den Grauen Wölfen (türk. Bozkurt) aufgetaucht, zuletzt um den 17. September mit Inhalten wie „Fuck PKK“ oder „Märtyrer sterben nicht“. Die Schriftzüge wurden von einigen Jugendlichen selbst entfernt.

Außerdem wurden vom 6. auf den 7. September zwei rechte Fahnen an einer Zugunterführung in Werne angebracht. Einen ausführlicheren Bericht dazu findet ihr hier.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

3 Antworten zu Vorläufige Antifa-Bilanz für Werne 2015

  1. Schaumann sagt:

    Wer ist Michael Schild?
    Aus der Liste der AfD-Vorstands-Mitglieder Kreis Unna:
    —————-
    Sprecher Michael Schild, Politikwissnschaftler, früher Schillpartei, Fröndenberg
    ————-
    Ist er das oder nur ein Namensvetter?

  2. afawerne sagt:

    Lieber Michael Schild,

    1. Es heißt „Kommentar“, nicht „Kommentor“.
    2. Satzzeichen sind immer noch keine Rudeltiere.
    3. Die Mathe-Aufgabe ist „volksmobfreundlich“ gestaltet, damit auch Menschen wie du (s. 1. und 2.) hier kommentieren können – niedrige Mitmach-Schwelle und so.
    4. Alter, NS-Relativierung ist immer noch uncool.

  3. Michael Schild sagt:

    Habt ihr zu dem Unsinn, den ihr hier so schreibt, noch keine Antworten, weil die Mathe-Aufgabe, die man für die Kommentor-Funktion lösen muss, für die SAntifa zu schwer ist??? Vermutlich!!!

Kommentare sind geschlossen.