Michael Schild – Ehemaliger Kämpfer gegen Radikalität in der AfD?

In diesem Jahr werden die Schöff*innen für den Zeitraum 2024 bis 2028 gewählt. Für das Ehrenamt werden keine juristischen Kenntnisse benötigt. Gleichzeitig haben Schöff*innen allerdings starken Einfluss auf die Rechtsprechung[1]. Das weckt seit Langem Begehrlichkeiten am rechten Rand, wo seit jeher eine besondere Leidenschaft für das (möglichst drakonische) Strafen gepflegt wird. Entsprechend finden sich vor diesen Wahlen regelmäßig Aufrufe etwa der AfD, sich als Schöff*innen zu melden und die Rechtsprechung in ihrem Sinne zu beeinflussen.
Ende Juni wurden Michael Schild, ehemals Sprecher des AfD-Kreisverbands Unna und stellvertretender Landessprecher der NRW-AfD, und seine Partnerin und ebenfalls ehemalige AfD-Funktionärin Claudia Woelke-Bildstein wegen ihrer AfD-Vergangenheit als Bewerber*innen für das Amt durch die Lokalpolitik abgelehnt[2].
Der Fröndenberger bekundete daraufhin im Hellweger Anzeiger, seine Ablehnung sei „an der Grenze zu Absurdistan“. Er habe sich schließlich „mit Stringenz gegen Radikalität gewehrt“. Man würde ihn gar nicht kennen. Nun, wir kennen Michael Schild, haben sein Treiben lange beobachtet und gelegentlich darüber berichtet. Gemeinsam mit dem Werner Bündnis gegen Rechts haben wir, die Antifa Werne, Schilds Behauptung einer kleinen Prüfung unterzogen. Die Ergebnisse, die ihr im Folgenden lesen könnt, findet ihr in einer Kurzfassung auch auf dem Instagram-Kanal des Bündnisses.

Warum dieser Text?

Zunächst wäre zu klären, warum Schild so wichtig ist, seinen Namen reinzuwaschen. Es geht um seine weiteren Chancen in der Gesellschaft. Als langjähriger AfD-Funktionär gilt Schild vielen – zu recht – als Rechter, mit dem man nichts zu tun haben möchte. Das kann im Alltag problematisch sein, wenn sich die Leute daran erinnern, was man noch vor Kurzem so propagiert hat. Es kann ihm aber auch den Zugang zu bestimmten Ämtern verbauen – wie jetzt dem des Schöffen. Gleichzeitig hat sich Schild nach seiner Niederlage in internen Machtkämpfen jede Chance auf Posten oder Stellen im Apparat der AfD versperrt. Seine ehemaligen Parteikolleg*innen dürften Schilds aktuellen Auftritt mit hämischer Freude zur Kenntnis nehmen. Für die Strategien anderer, die aus der AfD ausgetreten sind, fehlt es Michael Schild an verschiedenen Dingen. Für ein bisschen Ruhm und Zaster durch Medienauftritte oder gar das Schreiben eines Buchs als „Aussteiger“ und damit vermeintlicher „Experte“ (Beispiele: Franziska Schreiber, Alexander Leschik, Nicolai Boudaghi) ist er nicht interessant genug. Für das Aufziehen einer neuen Partei (Beispiele: Bernd Lucke, Frauke Petry, André Poggenburg) fehlt es ihm an Einfluss und Mitstreiter*innen. Ein Versuch, sich einer anderen Partei anzuschließen und sich dort erneut auf den Weg nach oben zu machen (Beispiel: Jörg Meuthen) kostet wiederum Zeit, Überzeugungsarbeit und so weiter. Und für eine glaubhafte Wahrnehmung als Aussteiger fehlt ihm – wie übrigens auch den anderen Genannten – vor allem der nachvollziehbare ideologische Bruch. Kurzum: Schild muss hoffen, dass andere seine AfD-Vergangenheit wieder vergessen oder sich nicht genug an ihr stören. Wo das nicht reicht, muss Schadensbegrenzung her nach dem Motto: So schlimm war ich ja gar nicht.

Dumm nur, dass sich relativ leicht nachvollziehen lässt, dass das nicht stimmt. Um es noch leichter zu machen, haben wir hier ein „Worst of“ aus Schilds Zeit als AfD-Funktionär zusammengestellt.

Schild und Der Flügel

Schilds Erzählung fußt im Wesentlichen auf einem einzigen, mehr als wackligen Fundament: seiner Gegnerschaft zu der extrem rechten und vorgeblich aufgelösten AfD-Clique „Der Flügel“. Schild hatte sich auf dem Weg zum Posten des stellvertretenden Landessprechers einer Fraktion in der Partei angeschlossen, die häufig als „Gemäßigte“ missinterpretiert wurden. Ihnen ging es darum, nicht allzu offen extrem rechts aufzutreten, um (vor allem im Westen) größere Chancen bei Wahlen zu haben und koalitionsfähig zu erscheinen. Die weitgehend enthemmten Anhänger*innen von Björn Höcke oder die Sympathisant*innen neurechter Faschist*innen wie Götz Kubitschek oder der Identitären Bewegung waren dieser Fraktion stets ein Dorn im Auge, weil die AfD mit ihnen an Bord immer ein Problem hatte, einen „konservativen“ Anstrich zu wahren. Diese „Gemäßigten“ waren/sind dabei nur unwesentlich weniger rechts, versuchten aber, das vorsorglich zu verstecken. Es ging also eher um unterschiedliche Strategien.
Im Zuge des zunehmenden Einflusses der Ultrarechten in der AfD, erwies sich, dass Schild auf das falsche Pferd gesetzt hatte. Er verlor seinen Einfluss im Kreisverband Unna und damit eine Machtbasis auf dem Weg zu neuen Posten. Seine (verlorene) Konfrontation mit Matthias Helferich, das selbsternannte „freundliche gesicht des ns“[sic!], war Schilds letzter großer Auftritt und eine erneute Niederlage, die ihm klar gemacht haben dürfte, dass er in der aktuellen AfD kaum noch Chancen auf einen Aufstieg haben dürfte.
Aber selbst diese taktische Gegnerschaft zum Flügel vertrat Schild nur am Ende seiner Parteikarriere, als es nicht zuletzt um Loyalitätsbeweise an seine neue Clique ging. Davor sah die Sache noch anders aus. 2015 unterzeichnete Schild die sogenannte „Erfurter Resolution“, das u.a. von Höcke initiierte Gründungsmanifest des Flügels. In diesem wurde etwa mit Blick auf die rassistischen Proteste von Pegida eine Distanz zu solchen Protestenbewegungen gegeißelt. Der Text richtete sich vor allem gegen die damalige Parteiführung Bernd Luckes. Nach der Abspaltung von Luckes Fraktion verbleibt Schild im AfD-KV Unna als einziges Vorstandsmitglied und wird neuer Sprecher. Später gab er auch öffentlich zu, im parteiinternen Lagerkampf „Höcke favorisiert“ zu haben. Auch bei der Abspaltung von Frauke Petry und ihren Anhänger*innen steht Schild fest auf der Seite der Parteirechten. Noch direkt nach seiner Wahl zum stellvertretenden Landessprecher im Oktober 2019 wird Schild im Hellweger Anzeiger zitiert, eine Nähe zum Flügel z.B. bei seinen Konkurrenten im Kreisverband wie Hans-Otto Dinse sei „legitim“. Bis aus sich abwechselnder Hofierung vom und vereinzelter, äußerst sanfter Kritik am Flügel die Ablehnung wurde, die Michael Schild nun offenbar zum Leitbild seiner Zeit in der AfD zu verklären versucht, war der Großteil seiner Parteimitgliedschaft bereits ins Land gezogen.

Wo Feuer ist, ist auch… noch mehr Feuer

Michael Schild war also nicht der große Erzfeind des Flügels. Darüber hinaus fallen noch zahlreiche weitere Bezüge zur extremen Rechten in Schilds Zeit als KV-Sprecher. 2016 organisierte er eine AfD-Demo in Unna. Als Redner gewann Schild den Neonazi Andreas Kalbitz, zu diesem Zeitpunkt noch AfD-Mitglied und Flügel-Kader. Die umfangreichen Kontakte Kalbitz‘ in die extreme Rechte und ins Neonazispektrum führten schließlich zu seinem Ausschluss aus der AfD, gegen den Kalbitz und seine Fans seitdem auf verschiedenen Ebenen vorgehen. Michael Schild wiederum behauptete im Nachgang, die neonazistischen Verbindungen von Kalbitz seien ja erst nach der Demo Stück für Stück bekannt geworden. Das stimmt nachweislich nicht. Auch lokale Antifa-Gruppen hatten vor der Demo bereits auf Teile davon hingewiesen[3][4]. Deren Blogs hat Schild durchaus hin und wieder verfolgt und bezog sich auf Facebook gelegentlich auf Antifa-Artikel. Auf unserem Blog, damals noch unter der Adresse afawerne.blogsport.de, „kommentierte“ Schild sogar[5]. Zusätzlich wäre zu der Demonstration zu erwähnen, dass diese von extrem rechten Seiten wie UNGID (einem Online-Pegida-Ableger im Kreis Unna) beworben wurde und sich vor Ort Rechte im HoGeSa-Shirt oder der NPD-Kader Hans-Jochen Voß die Ehre gaben. Für Schild offenbar kein Problem. Engagement gegen Rechtsradikalismus kam an diesem Tag jedenfalls nur von den Gegendemonstrant*innen, die die Demo dann nach wenigen Metern erfolgreich blockierten und zum frühzeitigen Ende zwangen.

Als Verantwortlicher für die Facebook-Seite des Kreisverbands – sowohl in seiner repräsentativen Rolle als KV-Sprecher als auch meistens in der ganz konkreten Rolle als Betreuer des Accounts – muss ebenso Schild persönlich angelastet werden, dass nach seiner Übernahme des KV freudig Artikel rechter Medien von Junge Freiheit bis Compact geteilt wurden. Unter den Posts fanden sich reihenweise Gewaltphantasien der AfD-Fans, gegen die nicht eingeschritten wurde. Die Posts des Kreisverbands selbst enthielten neben Hetze gegen Geflüchtete, Rassismus, „Lügenpresse“-Parolen und so weiter auch eigene Gewaltandrohungen. Der Mob in den Kommentaren schien gezielt aufgestachelt zu werden.
Schild selbst verteilte zwischenzeitlich auf Facebook Likes nicht nur an die neofaschistische Identitäre Bewegung, sondern auch an das von Neonazis organisierte „Schild und Schwert Festival“. Wiederholt relativierte er die Verbrechen und den Terror der nationalsozialistischen SA, indem er von einer „SAntifa“ schwadronierte.

Unter seiner Führung des KV wurden Personen vom rechten Rand überhaupt erst in den KV geholt und dort aufgebaut – mitunter seine späteren Gegner*innen. Dazu gehört das Höcke-treue Ehepaar Hans-Otto und Brigitte Dinse aus Schwerte, die kaum eine Gelegenheit auslassen, um sich mit ihrem Idol zu fotografieren und auch ansonsten keinen Hehl aus ihrer extrem rechten Gesinnung machen. Ein weiterer bemerkenswerter Fall ist der von Nils Hartwig, der frisch von seiner Tätigkeit als Kader der Identitären Bewegung (IB) zur AfD im Kreis Unna wechselte. 2016 nahm Hartwig an mehreren Aktionen der Identitären teil, 2017 trat er sogar in der Presse als Sprecher von Identitären in NRW auf[6]. Die neofaschistische Identitäre Bewegung steht auf der sog. „Unvereinbarkeitsliste“ der AfD, die jedoch das Papier nicht wert wäre, auf das man sie drucken könnte. Für jemanden wie Schild, der sich doch immer „mit Stringenz gegen Radikalität gewehrt“ habe, eigentlich ein No-Go, oder? Fehlanzeige. Stattdessen freute sich Schild über jüngere Gesichter im Kreisverband. Hartwig hat nie mit der IB gebrochen. Er posierte weiter in Shirts aus ihrem Shop und arbeitet als rechte(re) Hand des AfD-Bundestagsabgeordnetem Matthias Helferich, dem selbsternannten „freundlichen Gesicht des NS“, daran, andere IB-Aktivisten und das neurechte Umfeld an die AfD zu binden[7][8].

Fazit

Eine Erklärung für den Verbleib weniger radikaler Mitglieder in der AfD bzw. deren fortschreitende Radikalisierung kann sein, dass sie in einer neu gegründeten Partei schnell in Posten und Ämter gelangen konnten, die ihnen Hoffnung auf schnellen Aufstieg machten, ihnen den Verbleib trotz möglicher inhaltlicher Differenzen schmackhaft gemacht haben dürften und zugleich zu einer weiteren Radikalisierung der eigenen Positionen einluden, um auch weiterhin für Mandate und Parteifunktionen aufgestellt zu werden. Mit jeder Abspaltung von weniger rechten Fraktionen wächst zudem das Stigma, weiterhin Teil einer extrem rechten, demokratiefeindlichen Partei zu sein und damit schrumpfen die Möglichkeiten, problemlos wieder an der Gesellschaft außerhalb der Partei zu partizipieren. Das bedeutet auch, dass der „Preis“ für den Absprung tendenziell immer höher wird. Ein Bernd Lucke beispielsweise wird heute absurderweise von Vielen wieder in Schutz genommen als jemand, der mit der Rechtsentwicklung der AfD nix zu tun und rechtzeitig seinen Hut genommen habe. Diese Annahme hat zweifelsohne einiges für sich, allerdings gelten auch einige Einschränkungen. Es hängen etwa die Schwierigkeiten nach dem Mitgliedschaftsende maßgeblich davon ab, wie sehr diese im lokalen Kontext als Problem gesehen werden und wieviel über die Zeit bei der AfD bekannt ist.
Diese Zusammenstellung allerdings zeigt: Michael Schild hatte bereits zu Beginn kein Problem mit der extremen Rechten inner- und außerhalb der Partei. Dafür spricht auch seine vorherige Mitgliedschaft in der rechten Partei Rechtsstaatlicher Offensive (besser bekannt als Schill-Partei) Anfang der 2000er, deren Bekanntwerden ihn 2011 eine kurze Mitgliedschaft in einem Die Linke-Ortsverband kostete, bei dem sich Schild offenbar Karriereoptionen erhoffte. Erst als er sich in der AfD weitere Aufstiegschancen in der Clique der „Gemäßigten“ erhoffte, die auf eine zumindest verbale Distanz zu allzu offenen, extrem rechten Positionen setzt, versuchte sich Schild an einem Anti-Flügel-Image. Wenn Schild nun versucht, seinen Namen reinzuwaschen, gilt es, ihm klar zu sagen, dass wir nichts vergessen haben. Insofern ist die deutliche Abfuhr, die er und seine Partnerin bei ihrer Bewerbung als Schöff*innen erfahren haben, durchaus lobenswert.

Zum Abschluss sei noch darauf verwiesen, dass das Bundeskabinett eine Änderung des Richtergesetztes auf den Weg gebracht hat, das unter anderem verhindern soll, dass „Extremisten“ vom Schöff*innen-Amt ausschließen und die Abberufung bereits gewählter Schöff*innen festsetzen soll[9].

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